Wildt B. Coaching als Beratungsform für exzellente Lehre. Beispiel: Beratung von (neuberufenen) Professorinnen und Professoren // Lebensbegleitendes Lernen. № 4, 2013, DOI: 10.15393/j5.art.2013.2168


Ausgabe 4

Methodische und Personalressourcen des lebenslangen Lernens

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Coaching als Beratungsform für exzellente Lehre. Beispiel: Beratung von (neuberufenen) Professorinnen und Professoren

Wildt Beatrix
,
beatrix.wildt@uni-oldenburg.de
Schlagwörter:
Lebenslanges Lernen– Lehrinnovation und Qualitätsentwicklung –‚Shift from Teaching to Learning‘–Kompetenz und Kompetenzentwicklung
Coaching und Weiterbildung
Zusammenfassung: Im Folgenden geht es um die Frage, wieWeiterbildung im Sinne eines lebenslangen beruflichen Lehrens für wissenschaftliches Personal an Hochschule und Universität effizient und effektiv gestaltet werden kann. Es soll dargelegt werden, warum und wie individuelle Beratung im Kontext einer umfassenden Weiterbildungsmaßnahme eingesetzt wird, um wissenschaftlich Lehrende im Bemühen um eine gute Lehre zu unterstützen. Dabei geht es hier besondersum die Darstellung des Coaching als ein prozessorientiertes und leistungsbezogenes Beratungsformat.Coaching im Kontext verschiedener Weiterbildungsangebote soll neuberufenen Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen den Einstieg in umfangreiche und anspruchsvolle Lehraufgaben erleichtern und dazu beitragen, grundlegende Lehrinnovationen im Sinne eines ‚Shifts from Teaching to Learning‘ an Hochschulen und Universitäten zu ermöglichen. Im Kern geht es dabeiumdie Kompetenzentwicklung der Lehrenden für hochschuldidaktisches Handeln im Sinne eines Life-Long-Learning.

1 Qualität in der Lehre durch hochschuldidaktische Programmentwicklung

 

ZurQualitätsentwicklung in der wissenschaftlichen Lehre sind in Deutschland in den letzten fünfzehn Jahren an beinahe jeder Hochschule und Universität hochschuldidaktische Programme für verschiedene Statusgruppen mit Bezug auf deren Aufgaben in Lehre, Prüfung und Beratung aufgelegt worden. Hochschuldidaktisch relevant ist in diesem Zusammenhang die Abkehr von einem durchgehend verwirklichten ‚instruktionalen Paradigma‘in der Lehre, dasmit einer Dominanz des fach-inhaltlichen Inputs seitens der Lehrenden ging. Die instruktionale Form des Lehrens wird damit allerdings nicht völlig überflüssig, sondern sie soll durch eine Vielfalt aktivierender, individualisierter und kooperativer Lern-Lehr-Formen ergänzt werden mitBerücksichtigung der Selbstständigkeit und Verantwortungsfähigkeit der Lernenden als erwachsene Lerner1. Wichtig istdiehochschuldidaktische Orientierung der Lehrenden (und Prüfenden) am Learning-Outcome (Kompetenzen)der Studierenden. Das hochschulische Lernen gilt als Phase im Kontext eines Lifelong-Learning.Auch wurden neben den klassischen Prüfungsformen Alternativen entwickelt, die den neuen Lehr-Lern-Formen entsprechen sollen.2 Diese werden in hochschuldidaktischen Weiterbildungen empfohlen und Lehrende zeigen daran ein zunehmendes Interesse.Zudem sind verschiedene, Lernprozesse unterstützende Beratungsangebote für Lern- und Prüfungsberatung entwickelt worden, die ebenfalls mehr und mehr nachgefragt werden.3 Darauf soll weiter unten weiter eingegangen werden.

Die in den letzten Jahren aufgelegten hochschuldidaktischen Weiterbildungenentsprechen einemgestuften Modulsystem. Darin geht es um Lehr, Prüfungs- und Beratungsaufgaben der Lehrenden. Im Rahmen der Programme werden grundlegende, vertiefende und ergänzende Module angeboten, die nach Bedarf und auf freiwilliger Basis seitens der Lehrenden nachgefragt werden können. Für die Teilnahme gibt es Einzel- und Abschlusszertifikate, die von den Hochschulen als Nachweisder Teilnahme an den Programmen wechselseitig akzeptiert werden. Weiterbildungen werden vor allem im Workshop-Format  angeboten, die theoretische und praktische Elemente (auch im Sinne eines Trainings) enthalten. Ergänzend können TeilnehmendeLehrhospitationen (Unterrichtsbesuche auf freiwilliger Basis) mit vorgängiger und anschließender Beratung erhalten. Vielfach wird auch Unterstützung bei der Erstellung eines sogenannten Lehrportfolios4angeboten,das die verschiedenen Lehr-, Prüfungs- und Beratungsexperimente der Lehrenden im Laufe der Weiterbildung beschreiben und einordnen und deren Vorlage bei Bewerbungen verschiedener Art insbesondere für Professuren mit großen Lehraufwandgewünscht sind.

Im Folgenden soll ein Coaching-Programm für neuberufene Professorinnen und Professoren an Hochschulen skizziert werden. Dazu wird erläutert, was Coaching ist und was es grundsätzlich beabsichtigt. Coaching wird als Lernzyklus konzeptualisiert und dazu werden zentrale Aspekte des Lernens und der Herausbildung professioneller Kompetenz für Lehre dargestellt.

 

 

2 Ein Programm für Nachhaltigkeit und Exzellenz: Coaching in der Weiterbildung

 

Professorinnen und Professoren (mit mehr oder weniger langer Lehrerfahrung) müssen sich den neuen Herausforderungen an eine Veränderung der Lehre und Lehrenden-Rolle also nicht mehr nur allein stellen. Sie erfahren dazu eine Unterstützung, die der besonderen Situation und den Erfahrungen von Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen angemessen sein müssen. Es ist davon auszugehen, dass Professorinnen und Professoren längst einen ausgewiesenen Experten-Status in ihrem Fach und Leitungserfahrungen innerhalb und außerhalb der Hochschule (Universität) haben. Sie suchen einen kollegialen Austausch auf Augenhöhe (Gleicher unter Gleichen) sowie eine persönliche und diskrete Unterstützung insbesondere in Entscheidungs- und Übergangssituationen. Letzteres wird durch ein individuelles Coaching besser garantiert als durch eine (halb-)öffentliche Veranstaltung.

 

Die Fachhochschule  (University of Applied Science) zu Köln als größte Fachhochschule Deutschlandshat ein hochschuldidaktisches Weiterbildungsprogramm für ‚Neuberufene‘(gerade berufene Professorinnen und Professoren) aufgelegt5, deren Situation mit Sicherheit als Übergangssituation angesehen werden kann, die zudem eine Fülle neuer Aufgaben und Entscheidungen verlangen. Das Programm, das als Programm zur Förderung von Exzellenz in der Lehre ausgewiesen ist, existiert seit etwa zwei Jahren und kann alsdurchaus beispielgebend gelten. Im Rahmen dieses Programmsnehmen alle Professorinnen und Professorenin den ersten ein bis anderthalb Jahre nach der Berufung an verschiedenen hochschuldidaktischen Weiterbildungsangebotenteil. Für die Teilnahme gibt es Stundenentlastung (im Schnitt von zwei Lehrstunden),bezogen auf das reguläre Lehr-Deputat (real abhängig allerdings von der Lage bzw. Lehrsituation der jeweiligen Fachbereiche).Berufliches Lernen erfolgt hier also nicht wie bisher auto-didaktisch, sondern die Lehrenden erhalten über eine gezielte Weiterbildungsmaßnahme in der Anfangsphase eine professionelle Unterstützung zur Entwicklung ihrer Lehrfunktion.

Davon profitieren nicht allein Professorinnen und Professoren die bis dahin wenig oder auch gar keine Lehrerfahrung hatten. Es werden auch Lehrende unterstützt, die mehr Lehrerfahrung mitbringen und auch deren Potential für die Verbesserung der Lehrfunktion wird gefördert. Die Auswirkungenauf die Lehrkultur sind schon jetzt – so zeigen verschiedene, interne Evaluationen und auch die hochschulöffentliche Präsentation von Projekten - recht positiv.

Die Lehrenden nehmen nicht nur an dengrundlegenden (internen und externen) Weiterbildungsseminaren (in der Regel in Workshop-Form)teil. Sie bilden zudem Tandems (kleine Gruppen) für einen wechselseitigen, kollegialen Austausch im Sinne eines regelmäßigen Peer-Coaching (siehe weiter unten). Die Lehrenden können auch Lehr-Hospitationen erhalten, die mit Unterstützung von professionellen Coachs durchgeführt werden können.  Dazu wird den einzelnen Lehrenden nach Gesprächen mit den Beauftragten für Hochschuldidaktik ein passend erscheinender, ausgebildeterBerater (Coach) zugewiesen. Nach Erstellung einesLehrportfolio, in dem Erfahrungen mit den neuen Lehr-Lern-Formen und individuelle Perspektiven auf die Entwicklung von hochschulischer Lehre dargelegt werden, erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Weiterbildung zudem ein Zertifikat.

Um den Kreis der Interessierten über die Neuberufenen hinaus zu erweitern, werden an einem „Tag der Lehre“ im Abstand von circa einem Jahr verschiedene Lehrprojekte hochschulöffentlich präsentiert. Besonders gelungene Projekte und ihre entsprechend gelungene Präsentation werden prämiert. Externe Referenten werden zu ausgewählten Themen eingeladen und auch interessante Modellprojekte aus anderen Hochschulen vorgestellt.Probleme und Chancen von ‚Diversity‘(Heterogenität) sollen als zentrale Aspekte für die Entwicklung von Lehrprojekten, von Beratung und von Prüfung berücksichtigt werden.

Die Coachs arbeiten- begleitend zu ihrer Beratungstätigkeit - in einem ‚Qualitätszirkel‘ zusammen, damit Coaching-Erfahrungen vertraulich ausgewertet und das Coaching-Angebot insgesamt optimiert werden kann. Die Autorin ist selbst ist als Coach an der Entwicklung, Durchführung und Auswertung des Coaching-Angebotesbeteiligt gewesen bzw. beteiligt.

 

 

3Kompetenzenfür wissenschaftliche Lehre als Bestandteil lebenslangen Lernens

 

Kompetenzen werden nicht erworben und sind dann lebenslang unverändert verfügbar, sondern sie entwickeln sich lebenslang (Sander 2010). Lebenslanges Lernen und die (Weiter-)Entwicklung von Kompetenzen gehören also zusammen.

Ausgehend vom Ansatzpunkt der Identifizierung vonSchlüsselkompetenzen, alsovon Kompetenzen, die zunächst alle Menschen für ihre persönliche Entfaltung, soziale Integration, aktive Bürgerschaft und (berufliche) Tätigkeiten benötigen, wird mit dem Konzept lebenslangen Lernen nahegelegt, diese Kompetenzen im Rahmen eines lebenslangen Lernens über allgemeinbildende Schule, Berufsausbildung und universitäre Ausbildung hinaus weiterzuentwickeln.Formelle und informelle, didaktische (angeleitete) und autodidaktische Formen des Lernens sollen verknüpft und von den Einzelnen Verantwortung dafür übernommen werden. An dieser Stelle können verschiedene Vorzüge und Schwachstellen der Konzeptualisierung des Lebenslangen Lernens und des Kompetenzerwerbs nicht herausgearbeitet werden.Fest steht allerdings, dass es für lebenslanges Lernen entsprechende Motive und die Bereitschaftzum Lernen, Reflexionsfähigkeit sowie einen vernünftigen Umgang mit (Lebens-)Zeit6braucht, um sich mit eigenen (Lern-)Erfahrungenin biographischer Perspektive erfolgreich auseinander zu setzen. Die steigende Nachfrage nach Beratung, die beansprucht Orientierung und Unterstützung in verschiedenen Lebenssituationen, insbesondere in beruflichen und privaten Problemlagen und Entscheidungssituationen zu bieten, mag als Hinweis gelten, dass eine reflexive (Selbst-)Vergewisserung für viele Menschen unabdingbar geworden ist und professionelle Unterstützung braucht.

 

An dieser Stelle erscheint es lohnenswert zur Definition dessen, was wir in der hochschuldidaktischen Diskussion als Kompetenzen verstehen wollen7 auf zwei weitgehend akzeptierte Definitionsversuche zu verweisen. In der Definition von van der Blij et al. (2002) sind Kompetenzen als Fähigkeiten definiert, „in einem gegebenen Kontext verantwortlich und angemessen zu handeln und dabei komplexes Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen zu integrieren“ (Übersetzung Wildt 2006). Weinert (2001) definiert Kompetenzen als „ein spezialisiertes System von Fähigkeiten, Können oder Fertigkeiten, die notwendig sind, um spezifische Ziele zu erreichen. Dies kann sich beziehen auf individuelle Dispositionen oder die Verteilung dieser Dispositionen in sozialen Gruppen oder Institutionen“.In beiden Definitionen  geht es um die Integration verschiedener Komponenten für praktisches Handeln in komplexen Situationen, das den Standards der Angemessenheit und Verantwortlichkeit genügt und hier als Kompetenz bezeichnet wird.

Wie aber können die verschiedenen Komponenten zur Entwicklung von Kompetenzen aufeinander bezogen werden? Zur Veranschaulichung kann ein Stufenmodell des Lernens und der Entwicklung von Kompetenz herangezogen werden, das Lernen bis zur Stufe der professionellen Kompetenz führt und auch einer prozessorientierten Beratung für wissenschaftlich Lehrende als Grundlage dient bzw. dienen kann.Dieses Stufenmodell des Kompetenzerwerbs beginnt mit der Aufnahme von Informationen und führt über mehrere, komplexe Schritte zum kompetenten Handeln.Doch erst wenn Handlungsspielräume - bezogen auf individuelle, soziale, institutionelle und gesellschaftliche Aspekte –von den Handelnden als Berufsrolleninhabern erkannt und verantwortlich genutzt werden können, gilt die Stufe professioneller Kompetenz als erreicht.

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Coaching dient dabei als Möglichkeit, individuelles Handeln auf seine Professionalität hin zu überprüfen und die Beratenen (Coachees) auf ihrem langen (und manchmal beschwerlichen)Weg zur Professionalität ein Stück weit beratend zu begleiten.8Was aber ist Coaching und wie geht ein Berater im Coaching vor, um die professionelle Entwicklung und Leistung des Beratenen (Coachee) zu befördern?

 

4 Coaching für die Entwicklung der Lehrfunktion: im Vergleich zum Leistungssport

Der Begriff des ‚Coach‘ist bekannt aus dem (Leistungs-)Sport. Hier ist der Coach als Trainer verantwortlich für den Leistungserfolg seines (einzelnen) Schützlings oder auch seiner Mannschaft.  Der Coach ist hier also Trainer und Berater zugleich. Es geht  vor allem darum, die Potentiale der Sportler und Sportlerinnen über einen längeren (aber auch überschaubaren) Zeitraum hinweg optimal zu fördern, damit eine möglichst gute Platzierungim Konkurrenzkampf erreichtund – wenn möglich - Siege herbeigeführt werden. Vorausgesetzt wird, dass der Coach (als Trainer und Berater) sich im Sport bzw. in der entsprechenden Sportart sowieden Bedingungen des sportlichen Feldes auskennt, die Möglichkeiten der Sportler auf Grund von Erfahrungen und Wissen richtig einschätzen kann. Um den Sportler födern und unterstützen zu können braucht es allerdings wechselseitigen Respekt und Vertrauen. Sie sind die wichtigen, wenn nicht zentralen Voraussetzungen für eine gelingende Kooperation zwischen Coach und Coachee (hier: Sportlerinnen und Sportler).Kritisiert wird von Fachleuten, wenn eine professionelle pädagogische Kompetenz und fürsorgende Verantwortungsübernahme durch den Coach fehlen. Das gilt vor allem in der Nachwuchsförderung und besonders bei jungen Sportlerinnen und Sportlern, deren Abhängigkeit vom Coach größer und Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme geringer ist als bei einem Erwachsenen.Das in manchen Bereichen übliche Gruppensetting (Coach mit einer mehr oder weniger kleinen Gruppe von Coachees verlangt vom Coach zudem Fähigkeiten und methodische Kompetenzen zur Leitung und Steuerung von Gruppenprozessen, auch die Fähigkeit Konflikte zu erkennen und zu moderieren.

Leistung und Leistungserwartungen der Beteiligten, Kompetenz- und Handlungsorientierung, Expertise und Felderfahrung des Coach, Leistungsbereitschaft und Verantwortungsübernahme von Coach und Coachee, Vertrauen und Respekt gelten als wesentliche Bestandteile des Coaching. Das gilt auch für ein Coachingin anderenBereichen, etwa den Bereichen von Bildung und Wissenschaft.9Allerdings übernimmt der Beratene hier selbst ein höheres Maß an Verantwortung für eigenes Handeln.Training (Weiterbildung), experimentelle Praxis(mit Lehrhospitation) und Beratung im Sinne eines Coaching sind zudem deutlich (als Formate) getrennt und brauchen einen unterschiedlichen Kontrakt. 10

5  Gestaltung des Coaching als Lernzyklus mit Blick auf professionelle Verfahren

Damit die Coachee (als Beratene) relevante Aspekte und Probleme ihrer geplanten und realisierten Lehrtätigkeit in der Beratung angemessen bearbeiten können, bietet das Coaching gute Möglichkeiten.Voraussetzung ist allerdings die Erarbeitung und Einhaltung eines tragfähigen Beratungskontraktes zwischen den Beteiligten, in dem Ziele, Vorgehen und voraussichtliche Dauer (von Anfang an) festgehalten sind. Im Prozess werden Änderungen nur im wechselseitigen Einverständnis vorgenommen. Um die Wirkungsabsichten des Coaching zu verdeutlichen, soll an dieser Stelle der Frage nachgegangen werden, wie Lernen als Prozess im Coaching konzeptualisiert ist.11Denn - ganz allgemein gesagt-, hat Coaching mit der Transformation von handlungspraktischem Wissen und Können durch Lernen zu tun und konzeptualisiert und modelliert dieses als Lernzyklus. Es bietet sich an, diesen Lernzyklus in mehreren Schritten zu durchlaufen und dabei kognitive, emotional-affektive und handlungspraktische Aspekte zu berücksichtigen.

Kolb & Kolb konzeptualisieren erfahrungsbasiertes Lernen für eine bestimmte Praxis als Lernzirkel an dessen Anfang ein praktisches Handeln steht, das mehr oder weniger selbstverständlich und routiniert abläuft. Mit einer Irritation von Denk- und Handlungsroutinen durch bestimmte Ereignisse wird eine Reflexion über Praxis in Gang gesetzt. Daran setzt die Systematisierung bestimmter neuer Problemsichten an und eine entsprechende Konzeptualisierung von praktischem Handeln findet statt. Dieses kann dann -  im Sinne einer experimentellen Handlungspraxis - erprobt und überprüft werden. Die unter neuen Bedingungen (außerhalb von Beratung bzw. Coaching) gewonnenen Erfahrungen werden dann im Sinne der Eröffnung eines neuen Beratungszyklus wieder einer reflektierenden (Selbst-)Vergewisserung und Überprüfung ausgesetzt.

Jarvis hat den Ansatz von Kolb, der sich vor allem auf kognitive Aspekte und Strukturen bezieht, um emotionale, soziale und pragmatische Aspekte ergänzt und erweitert. 12Diese Erweiterung trägt der Ganzheitlichkeit von Lernprozessen Rechnung. Zudem unterscheidet Jarvis, verschiedene Bewusstseinsstufen des Lernens und bietet damit weitere wichtige Ansatzpunkte für Beratung und  Lernen durch und in Beratungen bzw. im Coaching an. Je bewusster die Lernprozesse ablaufen, desto nachhaltiger sind nach Jarvis die Veränderungswirkungen.Dazu dient nicht nur die Reflexion von vorgängigen Erfahrungen, sondern auch die Reflexion von aktuell  ablaufenden Lernprozessen. Deshalb zielt Beratung darauf, durch unterschiedliche Techniken, die im Rahmen verschiedener Verfahren entwickelt wurden, Prozesse bewusst zu machen und Verstehen zu fördern. 13

Verfahren, die hier gemeint sind, basieren auf begründeten Basisannahmen über Lernen und personale Entwicklung, Personen und Beziehungen, Strukturen und Funktionen oder Inter-Aktionen in Organisationen und Institutionen. Grundlage sind empirisch begründbare und theoretisch begründbare Annahmen, deren Verwirklichung mit und in jedem Coaching-Prozess überprüft werden kann. Verfahren in diesem Sinne sind der humanistische Ansatz psychologischer Gesprächsführung nach Rogers, die Transaktionsanalyse (TA) nach Berne, das systemisch-interaktive Psychodrama und Gruppenverfahren nach Moreno, die tiefenpsychologisch orientierte Gruppenarbeit nach Balint, die Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Cohn oder auch Verfahren und Methoden der Gruppendynamik, die auf Lewin zurückgeführt wird. Verfahren betreffen als einkomplexe Handlungswissen und praktisches Können der Berater,sie sind Teil ihres Handlungskonzeptes, das verschiedenen Formaten und Beratungssituationen methodisch flexibel und plastisch angepasst werden kann. Ein entsprechendes handlungspraktisches Wissen und Können kann in der Regel nur in einem längeren Prozess des individuellen Lernens und der Transformation angeeignet und zum Bestandteil professioneller Beratungstätigkeit werden.14

Um Lernen alsZyklus auf der Grundlage derart elaborierter Verfahren methodisch und technisch zu gestalten, braucht es also umfassende Kenntnisse und Erfahrungen. Das heißt, zur Gestaltung eines Lernzyklus, der in mehreren Schritten abläuft und wiederholt wird bis ein angestrebtes Ergebnis, effektiv(= umfassend, nachhaltig und zielführend) und effizient (= bezogen auf zeitliche, personelle und materielle Inputs) erreicht ist, greift Beratung (hier das Coaching)nicht nur auf Methoden und Techniken zurück, die sich auf Personen und Beziehungen zwischen Personen beziehen, sondern auch auf solche, die in der Beratung durch den Prozess führen. Die Ablaufgestaltung ist im Detail - je nach Verfahren - unterschiedlich, die einzelnen Schritte bleiben im Prinzip identisch.

Zu Beginn einer Beratung stellendie Coachees ihre Probleme und Absichten dar. Sie teilen ihre (Selbst-)Beobachtungen sowie die Wahrnehmungen bestimmter Handlungssituationen und Ereignisse dar und versuchen auch eine Erklärung zu finden. Gemeinsam mit dem Berater (Coach) werden diese Beobachtungen, Wahrnehmungen und Empfindungen untersucht, Probleme bzw. Erklärungsmuster dafür analysiert,  und schließlich neue Handlungsmöglichkeiten für die individuelle Praxis erarbeitet. -Erarbeitete Handlungsalternativen werden von den Coachee in Planung umgesetzt und anschließend in ihrer Alltagspraxis(unter neuen Bedingungen) praktisch erprobt.. Die dabei gemachten Erfahrungen werden im Coaching wiederum vorgestellt und analysiert, reflektiert und schließlich im Sinne eines neuen handlungsleitenden Wissens und Könnens verallgemeinert.

6 Individuelle und institutionelle Perspektivenüber das (Einzel-)Coaching hinaus

Bis Strategien und Handlungsmuster im Sinne eines professionellen Könnens verankert und zur (neuen) Routine geworden sind, braucht es oftmals Zeit, die über den zeitlichen Rahmen eines Coachings (von mehreren Sitzungen) hinausgeht. Das heißt, Coaching bietet über eine begrenzte Zeit hinwegUnterstützungund dient hier dem Einstieg in einen durchaus längeren, selbstverantworteten Prozess der individuellen Transformation von Wissen und Können für eine individuell erfolgreiche Praxis.

Im Übrigen greifen zur Unterstützung oder auch in Fortsetzung eines professionellen Coaching sogenannte Peer-Formate im Sinne einer Selbst-Beratung zwischen Lehrendenals Fallberatung oder auch als Fachberatung zwischen Peers.Im Unterschied zu einem professionellen Coach, der auf entsprechende Verfahren im Coaching zurückgreifen kann, bleiben Peer-Formate hinsichtlich der Verfahren und Methoden zur Prozessgestaltung semi-professionell.Hier zählen vor allem das fachliche Gespräch, der kollegiale Austausch und das Einfühlungsvermögen der Beteiligten. Hilfreich in der Anfangsphase solcher Peer-Beratung ist oftmals eine Einführung und Unterstützung durch einen professionellen Coach  und auch die Teilnahme an einer Weiterbildung, die verschiedene Methoden aus dem Beratungsspektrum vorstellt und mit einem kurzen Training (z.B. des Gesprächsverhaltens, der Fragetechniken, von Feedback oder von Rollenspiel oder auch von verschiedenen Visualisierungs- und Moderationstechniken) verbunden ist. Manchmal – im alltäglichen Sprachgebrauch – verbirgt sich hinter einem sogenannten Peer-Coaching allerdings nicht mehr als eine mehr oder weniger freundliche Ratgeberrunde.

Eine wichtige Begleiterscheinung von Beratungserfahrungen im Einzel- wie im Gruppensetting ist die Bereitschaft der Teilnehmenden, an Curriculum-Prozessen teilzunehmen und diese Prozesse aktiv mitzugestalten. Über die gemeinsame Arbeit an den Curricula werden schließlich wichtige hochschuldidaktische Aspekte und Neuerungen  eingeführt und diese Arbeit ersetzt die übliche, fachinhaltlichorientierteLehrplanarbeit.Damit wird der hochschuldidaktische Entwicklungsraum für Lehrende wie Lernenden in den Studiengängen neu absteckt und vergrößert. Individuelle Weiterbildung zur Entwicklung der Lehrfunktion gewinnt über die verschiedenen Möglichkeiten partizipativer Entwicklung von Curriculazusätzliche institutionelle Perspektiven. Über eine curriculare Verankerung hochschuldidaktischer Neuerungen (die auch Personen unabhängig ist) wird institutionell-organisatorische Nachhaltigkeit erreicht.

7 Qualität und Qualitätssicherung von Beratungsangeboten

Wie oben bereits angedeutet, braucht es für die Durchführung eines Coaching auch umfassende Verfahrenskenntnisse und ein entsprechendes Können. Coachs als professionelle Berater, müssen neben einem wissenschaftlichen und akademischen Abschluss sowie umfassende beruflichen Felderfahrungen (hier im Feld der Wissenschaft und Hochschule), auch eine Ausbildung in mindestens einem Verfahren für Beratung nachweisen. Die Verfahrensausbildung erfolgt in der Regel in mehreren Stufen (bis hin zum Ausbilder/Supervisor für Berater) und kann in Abhängigkeit von dem jeweiligen Verfahren mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Außerdem muss eine Format bezogene Weiterbildung für Beratung nachgewiesen werden, die bestimmten Standards entsprechen soll und ebenfalls von nicht geringer Dauer ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Beratungsformate wie Coaching, Supervision, Mediation, Konfliktmoderation, auch therapeutische Beratungen sowie Formen der Fachberatung (etwa Schreibberatung) unterschiedliche Aus- und Weiterbildungswege und Voraussetzungen beanspruchen.

Um die Qualität der Beratung insgesamt zu erhöhen und Aus- und Weiterbildungen für Beratertätigkeiten auf hohem Niveau zu gewährleisten und zu vereinheitlichen, sind verschiedene Fachverbände bemüht, im nationalen wie auch im internationalen Rahmen (EU) gesetzliche Regelungen für Beratung zu erreichen und Richtlinien für verschiedene Ausbildungen festzulegen.Auch für hochschuldidaktisches Personal werden Weiterbildungen für Beratung aufgelegt. 15Festzuhalten ist, dass das Niveau der Beratung nicht nur durch Expertise und Verfahrenskompetenzen, sondern auch die Haltung und das persönliche Können der Beteiligten im Sinne ihrer Beziehungskompetenz bestimmt wird. Mit anderen Worten, die Wahrnehmung und Achtung der Personen und Toleranz und Respekt in dieser Art von Beziehungen bleiben immer noch entscheidend.

Für wissenschaftlich Lehrende sind entsprechende Beratungserfahrungen mit einem professionellen Coach nicht nur für das eigene Lehr-Handeln nach einem Lerner orientierten Lehrkonzept (siehe oben) hilfreich.Erfahrungen mit einer personen- und prozessorientierten Beratung und in diesem Rahmen (selbst) erfahrene positive Möglichkeiten als Beratene und Lernendekönnen dazu beitragen, dass eine immer noch praktizierte direktiveRatgeberpraxis (von Lehrenden) mittelfristig durch eine Art „Lern-Coaching“ (mit semi-professionellem Know-How) abgelöst oder mindestens durch dieses ergänzt werden kann.

Im Rahmen des hier beschriebenen Projektes ist das nicht unmittelbar beabsichtigt, könnte aber durch inzwischen vorhandene hochschuldidaktische Weiterbildungsangebote erreicht werden.

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DOI: http://dx.doi.org/10.15393/j5.art.2013.2168